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Weißes Rauschen (2022)

Weißes Rauschen (2022) (Poster)

Trailer

Bewertung

„Muss man sehen“ kulturmovies

Filminhalt

Noah Baumbachs Verfilmung von Don DeLillos 80er-Jahre-Dystopiethriller „Weisses Rauschen“ ist halb Satire, halb Apokalypse, halb Familiendrama mit unendlich viel Gerede. Geht nicht auf? Doch, denn der Film ist weit mehr als die Summe seiner Teile.

Glück im Konsum, aber auch im ständigen Reden um des Redens Willen und vor allem in der Selbstgewissheit, etabliert zu sein, ohne die eigene Jugend verloren zu haben: So sieht die intellektuelle Familie aus der Mittelschicht einer Provinzstadt mit Universität in „Weisses Rauschen“ aus. Die Gladneys sind diese Familie – der Historiker Jack (Adam Driver), seine Frau Babett (Greta Gerwig) und ihre drei Kinder. Aber diese Einheit ist nicht sicher. Wie sehr Jack und Babett Angst haben, vor allem vor dem Tod: dem widmet sich der Film auf sehr eigenwillige Weise:

Jack und Babett gehören zu den ersten Generationen von Menschen, die sich – frei von religiösen Zwängen – selbst behaupten müssen in einer Welt, die für sie irgendwann endet, die ihre Generation aber auch durch eine ökologische Katastrophe zu einem vorzeitigen Ende bringen kann. Jack verdrängt diese Angst und sieht deshalb auch nicht, dass Babett heimlich Tabletten zu sich nimmt. Darauf muss ihn erst die älteste Tochter Denise (Raffey Cassidy) aufmerksam machen. Doch bevor Jack dem weiter auf den Grund gehen kann, passieren ganz andere Dinge.

Jack führt mit dem Hochschulkollegen einen Battle-Vortrag an der Uni – er über die fürchterlich einnehmende Wirkung Hitlers auf die Bevölkerung, Professor Murray über die Wirkung des Popstars Elvis Presleys auf seine Fans –, als mitten in diesem durch Montagen von Auftritten Hitlers und Elvis’ und deren massenpsychologischer Wirkung ein Drittes ganz in der Nähe dazukommt: Ein LKW-Fahrer brettert ungebremst an einem Bahnübergang in einen Güterzug mit hochgiftiger Chemieladung. Es ist der dramaturgische Höhepunkt des Films, die reale Bedrohung ist da, die bisher nur in Jacks Alpträumen und in Babetts von Tabletten bekämpften unbestimmten Ängsten im Untergrund schlummerte.

Noah Baumbach, der zum ersten Mal Regie auch bei einem Film mit etlichen Actionszenen führte, hat zu keiner Zeit auf einen ironischen Unterton verzichtet. Fand die Chemiekatastrophe noch eine dramaturgisch kongeniale Untermalung durch Hitler und Elvis Presley, so kann die Flucht vor der Chemiekatastrophe auf der Autobahn nicht ohne absurden Führungsstreit in der Familienkutsche auskommen. In der ersten Nacht im Flüchtlingscamp bricht dann die Fassade der Zivilisation: Als das Chaos ausbricht, hängt Jack sich mit dem Auto einfach hinter einen reaktionären Waffenbefürworter in der Hoffnung, dass der ihm schon den besten Fluchtweg präsentiert.

Genauso schnell, wie die Katastrophe kam, ist sie auch vorbei, und die Gladneys können wieder shoppen gehen. Doch die Angst vor dem Tod steckt nach wie vor tief drin in Jack und Babett, und Noah Baumbach lässt seine Helden wie schon Don DeLillo im Roman bis hin zum Mord gehen, um sich dieser Angst zu stellen. Plötzlich werden wir in einen Thriller noir katapultiert, und Lars Eidinger darf als völlig durchgeknallter Drogenhändler den Film ein letztes Mal komplett aufmischen. Ist es eine Katharsis, die Jack und Babett durchleben? Ist es ihr Befreiungsversuch aus der Klammer ihrer Angst, der in einer reinen Farce endet? Keine Minute Langeweile bis zum Ende des Films, statt dessen das Gefühl, mal wieder so richtig überfordert worden zu sein: „Weisses Rauschen“ verlangt die ganz große Leinwand und die Bereitschaft, sich im Kino überwältigen zu lassen.

  • Weißes Rauschen (2022) (Filmbild 4)