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Tausend Zeilen (2021)

Tausend Zeilen (Poster)

Bewertung

„Sollte man sehen“ kulturmovies

Filminhalt

Als bekannt wurde, dass „Bullyparade“- und „Der Schuh des Manitu“-Mastermind Michael Bully Herbig den Skandal um den Spiegel-Journalisten und Fälscher Claas Relotius von 2018 verfilmen würde, dachte alle: Bully macht jetzt seinen „Schtonk“, Helmut Dietls brillante Mediensatire um die gefälschten Hitler-Tagebücher im Stern. Auch, weil Herbig in Dietls letztem Film, der Mediensatire „Zettl“ (2012), einem „Kir Royal“ in Berlin, die Hauptrolle spielte.

Aber weit gefehlt. Denn Herbig ist kein Helmut, und die Sache mit dem Medien-Münchhausen Relotius ist dann doch nicht zu vergleichen mit dem weltweit beachteten Eklat um die gefakten persönlichen Notizen des Führers. Herbig weiß das – und daher versucht er gar nicht erst, den Stoff als Posse anzupacken, und greift zu zahlreichen filmischen Späßchen und Tricks, um den Zuschauerinnen und Zuschauern die Relevanz von Relotius‘ Taten zu vermitteln. Denn von dessen zahlreichen gefälschten Artikeln und dem Erdrutsch, den das in der Pressewelt auslöste, hat das Massenpublikum, das Herbig sonst mit seinen Filmen anspricht, nur bedingt etwas mitbekommen. Und wenn, dann dürften Einige das seit Pegida, Trump und Querdenkern gegen den Journalismus etablierte, diffamierende Wort „Lügenpresse“ bestätigt gesehen habe. Ein Umstand, den der Film und auch Herbig als zentrale fatale Konsequenz aus Relotius‘ Betrug betrachten.

„Tausend Zeilen“ nach dem Buch von Relotius‘ Kollegen Juan Moreno, der das ganze Lügengebäude mit seinen Recherchen zum Einsturz brachte, holt die Betrachter:innen da ab, wo sie sind: Moreno (Elyas M'Barek) ist auch Erzähler der Geschichte, wird dabei aber regelmäßig vom Lars Bogenius (Jonas Nay) – der Film kündigt schon vor Beginn an, dass er sich auch vieles ausgedacht hat – konterkariert, der dann seine Version des Ganzen auftischt. Hier belässt es Herbig nicht bei Off-Kommentaren: Moreno und Bogenius durchbrechen die vierte Wand, sprechen die Zuschauer:innen erklärend direkt an, manchmal gehen sie dabei gar um die anderen, plötzlich eingefrorenen Figuren herum.

Der freie Mitarbeiter Moreno muss gegen den Widerstand des Ressortleiters (Michael Maertens als Kai-Diekmann-Parodie) der Chronik (Filmname für Der Spiegel) und des stellvertretenden Chefredakteurs (Jörg Hartmann als Elite-Medienmacherparodie) arbeiten. Diese hallten die Vorwürfe für neidgesteuert, und wollen ihren journalistischen Ziehsohn und designierten Ressortleiter Bogenius trotz der vielen Ungereimtheiten in dessen Texten, die Moreno ihnen auftischt, keinesfalls fallen lassen. Denn wenn Bogenius fällt, fallen sie auch …  Moreno recherchiert dennoch weiter. Wie konnte Bogenius für ihre gemeinsame Reportagestory von der amerikanisch-mexikanischen Grenze in nur drei Tagen das Vertrauen einer US-Grenzbürgerwehr gewinnen und embedded mit auf Migranten Jagd machen? Und weshalb ähnelt der Anführer der Truppe einem anderen selbsternannten Grenzschützer mit einem anderen Namen in einem preisgekrönten Dokumentarfilm?

Moreno taucht tief ein in Bogenius (fiktive) Newswelt, die Herbig als martialische, semikarikaturistische Kurzfilme-im-Film inszeniert. Und nicht nur die Grenzgeschichte scheint voller erfundener Teile zu sein. Moreno prüft noch weitere Ergüsse von Bogenius, denn auch sein guter Name steht auf dem Spiel. Und wenn er dann an seine Zusammenarbeit mit dem Lügenbaron denkt, sieht er sich als mitgehangenen, mitgefangenen Fluchtwagenfahrer des Bankräubers Bogenius – was Herbig in einem sekundenlangen Action-Einschub dann auch genauso zeigt.

So ist dann auch der ganze Film: Eine wilde Mischung aus Mediensatire, Journalismuskrimi und menschelnder Komödie, die keine Lust hat, sich für ein Genre zu entscheiden.

  • Tausend Zeilen (Filmbild 3)
  • Tausend Zeilen (Filmbild 4)
  • Tausend Zeilen (Filmbild 5)
  • Tausend Zeilen (Filmbild 2)

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