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Tár (2023)

Tár (2023) (Poster)

Bewertung

„Muss man sehen“ kulturmovies

Filminhalt

Cate Blanchett wird für diesen Film den Oscar kriegen, so viel ist klar. Wie sie in Todd Fields Film „Tár“ die Dirigentin Lydia Tár spielt – von selbstbewusst-zielstrebig über manipulativ-fies bis erkenntnisverweigernd –, ist außerordentlich.

„Dieses Drehbuch wurde gezielt für eine Künstlerin geschrieben: Cate Blanchett. Hätte sie die Rolle nicht angenommen, wäre dieser Film niemals umgesetzt worden.“ Regisseur Todd Field hat Recht: Ohne Cate Blanchett könnte der Film „Tár“ überhaupt nicht die Wucht entfalten, die ihm innewohnt. Die enorme Energie, mit der Blanchett die Dirigentin Lydia Tár spielt, drückt sich in allem aus: in ihrer intellektuellen Überlegenheit in allen Diskursen; in der Begeisterung für ihre Arbeit, der die Stardirigentin der Berliner Philharmoniker (fast) alles unterordnet; in Unerbittlichkeit, mit der sie als Frau ihre Karriere in der Männerdomäne am Dirigentenpult vorangetrieben hat; und nicht zuletzt in der Härte gegenüber sich selbst, als es plötzlich zum tiefen Fall der Person Tár kommt.

Denn die Dirigentin hat ihre düsteren Geheimnisse. Sie protegiert Musikerinnen, zu denen sie sich hingezogen fühlt, und lässt sie fallen, sobald es ihr passt. Sie manipuliert die Personen in ihrem Umfeld, manchmal dezent, manchmal brutal-perfide. Und sie lügt selbst in der Beziehung zu ihrer Partnerin Sharon Goodnow (Nina Hoss), der Konzertmeisterin des Berliner Orchesters, mit dem sie gerade Gustav Mahlers 5. Sinfonie zur Aufführung bringen will. Eines bewirkt die Härte, mit der Blanchett ihre Figur ausstattet: Mitleid hat man nicht mit der Stardirigentin, zu keiner Zeit, auch nicht, als sie von einem Schüler einer Masterklasse auf YouTube mit einem frechen, sinnverfälschenden Zusammenschnitt einer Unterrichtsstunde diffamiert wird. Tár will Maestro heißen, nicht Maestra. Tár will kein Opfer sein. Und sie ist auch keins.

Toxische Emanzipation

Im Grunde ist Lydia Tár fremd in dieser Welt der kulturell Etablierten. Sie kommt aus einfachen Verhältnissen, musste sich durchbeißen und sich alles aneignen, was ihr aufgrund ihrer Verwurzelung im Arbeitermilieu zunächst fehlte – und das war neben der Leistung am Pult das Erlernen der kulturellen Codes. Dass sie dabei nichts dem Zufall überlässt, merkt man vor allem zu Beginn des Films: Társ persönliche Assistentin Francesca Lentini (Noémie Merlant) kann den Text still mitsprechen, als der Moderator zu Beginn eines Interviews ihren Lebenslauf vorträgt: Der gesamte Text stammt von Lentini. Und wenn die Assistentin zum Schneider geht, um Társ Einkleidung für die Premiere von Gustav Mahlers 5. Sinfonie in Auftrag zu geben, hat sie das Plattencover von Claudio Abbado dabei.

Regisseur Todd Field hat ganze Arbeit geleistet: Die sukzessive Verunsicherung der Lydia Tár bringt er als Hanecke’sche Bedrohung: Metronome beginnen mitten in der Nacht zu ticken, Töne holen die Dirigentin aus dem Schlaf und können nicht geortet werden, Tár spielt sie schließlich auf dem Flügel nach, um sie zu bannen. Beim Joggen ruft eine Frau verzweifelt in einem Park um Hilfe, kann von Tár aber nicht gefunden werden. Die reale Gefahr für sie, die längst ihre Macht missbraucht, kommt aber vom Orchester selbst, das – wie in Deutschland üblich – demokratisch strukturiert ist. Tár tritt zunehmend diktatorisch auf, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen, und macht sich das Orchester zum Gegner.

Todd Field nennt „Tár“ ein Märchen, denn an den deutschen Orchestern gibt es bis heute keine Chefdirigentin. Lydia Tár ist seit zehn Jahren Chefdirigentin der Berliner Philharmoniker, und sie hat fast alle toxischen Eigenschaften, die männliche Kollegen auch schon an den Tag legten. Das nennt man Emanzipation.

  • Tár (2023) (Filmbild 5)
  • Tár (2023) (Filmbild 2)
  • Tár (2023) (Filmbild 3)
  • Tár (2023) (Filmbild 4)

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