L’Immensità – Meine fantastische Mutter (2022)
- Originaltitel L'Immensità
- Regie Emanuele Crialese
- DarstellerInnen
- Entstehungsjahr 2022
- Land Frankreich
- Filmlänge 99 min
- Filmstart 27.7.2023
- FSK 12
- Genres
Bewertung
Filminhalt
„L’Immensità – Meine fantastische Mutter“ ist ein Coming-Out-Film mit großer Empathie und noch größerer Lebensfreude. Obwohl er ein Drama ist.
Regisseur Emanuele Crialese zeigt mit seinem neuesten Werk einen ernsten und doch fröhlichen Film über eine ausenanderbrechende Familie, in der die Tochter Adriana lieber ein Junge wäre. Als er den Film letztes Jahr in Venedig vorstellte, outete sich Crialese selbst als trans Mann und erklärte, er habe mit „L’Immensità – Meine fantastische Mutter“ durchaus auch seine eigene Kindheit verfilmt.
Adriana (Luana Giuliani) ist einerseits noch Kind und spielt gerne mit ihren zwei Geschwistern im Schilf gleich gegenüber der neuen Wohnsiedlung außerhalb Roms, in die ihre gut situierte Familie erst vor kurzem gezogen gezogen ist. Auch im Urlaub mit anderen Kindern ist sie begeisterte Akteurin bei Abenteuern, die vor allem von den Jungs organisiert werden. Andererseits ist Adriana schon mitten in der Pubertät und beginnt, mit sich und der Umwelt zu fremdeln. Hinzu kommt: Adriana empfindet sich als Junge, nennt sich Adri und hat bald schon in der Siedlung hinter dem Schilf eine Freundin, mit der Adri die Vorstellung von einer Beziehung probiert – bis hin zum ersten Kuss und einer vorsichtig-zärtlichen Annäherung der Körper.
Wir befinden uns in den 1970ern, die Männer sind offen chauvinistisch, autoritär und in der Erziehung schnell mit der Hand. Adrianas Vater Felice geht zudem ständig fremd, was bald nicht nur ihre Mutter Clara deutlich mitbekommt. Penélope Cruz spielt Clara – expressiv und gleichzeitig hoch sensibel, als Mutter voller Liebe für die Kinder, als Ehefrau komplett alleingelassen und eigentlich auf dem Sprung, wenn nur die Kinder nicht wären: Cruz spielt Clara schlicht wunderbar.
Dann sind da noch die musikalischen Einlagen des Films, die fast schon an ein Musical erinnern: Sind sie nur der Fantasie Adrianas entsprungene Momente der Einheit mit ihrer Mutter, wenn diese zu singen und zu tanzen beginnt? Manchmal möchte man es fast meinen, die Verwandlung der Wohnung in eine Musicalbühne könnte aber auch die Idee des Regisseurs sein, der eine Welt ohne Brüche nur in einer kitschigen und gespielt harmonischen Variante des Lebens sieht. Jeder mag das anders interpretieren, doch beide Interpretationen funktionieren: Der Film erfährt ein nicht erklärbares Aufbrechen seiner Erzählrealität und erreicht dadurch eine neue Ebene: der des Widerspruchs zwischen Tristesse und Traum, zwischen gelebtem und nicht gelebtem Leben. Ihre Mutter leidet darunter viel mehr als Adri, die ihre Zukunft noch vor sich hat.