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Wohnzimmer gegen Kinosaal – Wie steht es um öffentliche Filmvorführungen und Kinos?

Leeres Kino

Knapp drei Monate waren die Kinos geschlossen – und das Home Cinema wurde zur einzigen Alternative. Aber was bedeutet die Omnipräsenz des Streaming für das Kino?

Der Kinofilm ist eine Form von Kunst. Er bringt uns zum Lachen, zum Nachdenken, zum Diskutieren und manchmal auch zum Weinen. Das gemeinsame Erleben des Geschehens auf der Leinwand fasziniert die Jüngsten genau wie die Ältesten. Doch es findet auch ein Wandel statt. Streamingdienste, wie Netflix, Amazon Prime oder seit Neustem auch Disney+ werden immer beliebter und bieten eine wachsende Anzahl von Filmen an. Erstmals ist nun ein Film auch gleichzeitig im Kino und online angelaufen – statt wie bisher zunächst im Kino und danach im Netz. Man muss sich fragen, wo das Ganze hinführen soll. Hat das Kino überhaupt eine Zukunft, wenn es weitergeht, wie bisher?

Wenn der Kommerz siegt – So kann es laufen

Der Feldzug der Streaminganbieter, um den es in diesem Artikel gehen soll, ist nicht die einzige Entwicklung im Bereich der audiovisuellen Medien, die derzeit manch einen verärgert oder gar stark einschränkt. Wir wollen daher auch ein Beispiel voranstellen, wie es laufen kann, wenn kommerzielle Vorstellungen und Freiheiten im Widerspruch miteinander stehen. Das Beispiel lautet: Die Privatisierung der Sportübertragung – insbesondere des Fußballs (dem beliebtesten Sport der Welt).

Seit 1961 ließ sich die Sportschau im ARD von jedem Sportfan kostenlos anschauen. Neutrale Berichterstattung, bei welcher sportliche Highlight auf informative Weise vermittelt wurden – das war der gesetzliche Sendeauftrag. Doch mit dem Aufkommen erster privater Rundfunkanstalten kam der Faktor der Unterhaltung dazu. Man kann durchaus sagen, dass mit dem Konkurrenzformat zur klassischen Sportschau, nämlich mit „Anpfiff – die Fußballshow“, die auf RTL plus lief, der Grundstein für die Veränderung der Sportwelt durch das Privatfernsehen gelegt war. Ab 1988 ging es für die privaten Sender bergauf, für die Freiheit der Sportübertragung und sogar des Sportes an sich in vielerlei Hinsicht aber bergab. Spätestens seit Sat. 1 sich im Jahr 1992 mit „ran“ sämtliche Erstverwertungsrechte an der Fußball-Bundesliga sicherte, verstanden das auch die Fans.

Heute befinden wir uns rund um die Bundesliga-TV-Rechte an einem bisherigen Tiefpunkt: Zwar werden ab 2021 neun Live-Spiele pro Saison im frei empfangbaren Fernsehen im erwähnten Format „ran“ zu sehen sein. Wer aber alle Bundesligaspiele sehen möchte, benötigt zwei kostenpflichtige Abos – Das eine beim Pay-TV-Sender Sky und das andere beim Konkurrenten DAZN.

Doch die zunehmende Mediatisierung des Sports und die gleichzeitige Ökonomisierung der Medien bewirkten nicht nur, dass jeder, der alle seine Lieblingsspiele sehen will, dafür mitunter tief in die Tasche greifen muss. Es ist heute ganz selbstverständlich geworden, dass dadurch auch Eingriffe in den Charakter einer Sportart an sich vorgenommen werden. Regeln etwa werden geändert, damit Spiele noch spannender und spektakulärer werden. Dass darunter der Sport oder die Spieler mitunter auch leiden, wird zur Nebensache.

Streaming-Experimente mit Licht-, vor allem aber mit Schattenseiten

Was hat das nun alles mit dem Kino und den Streamingdiensten zu tun? Ganz einfach: Die Streamingdienste wirken auf das klassische Leinwandkino in ähnlicher Weise, wie das Privatfernsehen auf die Übertragung des Sports und auf dessen Charakter gewirkt hat. Streaming läuft dem Kino den Rang ab und verändert die Kunst des Filmemachens. Dieser Auffassung jedenfalls sind viele Kino- und Filmfans, viele Regisseure, Produzenten, Schauspieler und Journalisten. Doch ist dem tatsächlich so?

Ohne Frage lassen sich Parallelen zwischen den thematisierten Entwicklungen beobachten. Während in der Sportwelt Regeln geändert werden, um Spiele spannender zu machen, greifen Streamingdienste in ungeschriebene „Regeln des Filmemachens“ ein, um ihren Content auf Zuschauer und potenzielle Kunden abzustimmen. Netflix beispielsweise erhebt immer wieder Daten und startet Umfragen, um zu analysieren, was genau die Zuschauer am liebsten sehen möchten. Auf Grundlage der Daten werden dann Serien oder Filme produziert.

Das mag erst einmal gut und schön klingen. Doch über die Qualität dieser Produktionen lässt sich in vielen Punkten streiten. Sicherlich sehen diese Produktionen gut aus, sie sind oft mit großen Schauspielern besetzt und sie werden auch meistens von vielen Menschen geschaut – bedienen sie doch auch genau den Geschmack der Zuschauer. Was sie aber mitunter nicht sind, ist: Kunst. Denn Kunst war nie, ist nicht und wird niemals demokratisch sein. Über Kunst sollte man nicht abstimmen können. Man kann es auch nicht.

Zwar darf auch über die Filmkunst eines jeden Filmemachers, der im klassischen Sinne Filme produziert, gestritten werden. Nicht jeder Film ist gleich große Kunst, wie ein anderer. Doch immerhin entsteht hier ein Streit über die Kunst. Die Leinwand kann einen abstoßen oder anziehen, sie erzeugt Reibung. Konsensproduktionen, die jedem einigermaßen gut gefallen dagegen, erzeugen nur bloßes Nicken und müde Zustimmung. Das hat mit Kunst nichts mehr zu tun.

Dass die Eingriffe in die Kunst des Filmemachens aber tatsächlich auch auf Seiten der Zuschauer nicht immer für pure Begeisterung sorgen, zeigen ebenfalls recht aktuelle Beispiele aus dem Hause Netflix. Die Netflix-Produktion „Black Mirror: Bandersnatch“ beispielsweise, bei der die Zuschauer aus mehreren Optionen über den Fortgang der Handlung entscheiden können, spaltete die Zuschauer. Die einen fanden das Ganze ganz nett, andere wiederum wollten eigentlich nur in Ruhe eine Serie schauen oder beschwerten sich über unbefriedigende Enden der diversen Handlung. Bei der Netflix-Produktion „Cam“ wurde die Kritik über das Ende des Films besonders laut. Die meisten Kritiker waren sich einig: Hier haben sich die Drehbuchautoren für Netflix in eine Sackgasse geschrieben, aus der sie nicht mehr herausgekommen sind.

Große Kinos protestieren

Krisensituationen, wie auch jene der COVID-19-Pandemie, machen dem Kulturbetrieb seit jeher zu schaffen. Gerade die Filmindustrie leidet. Zwar öffneten im Mai 2019 nach längerer Zeit wieder die Kinos in Hessen (Berlin mit dem Datum des 30. Junis ist als letztes Bundesland an der Reihe), doch das Aufatmen lässt auf sich warten. Denn Abstandsregeln, die zweifelsfrei wichtig und unabdingbar sind, verhindern profitables Arbeiten, wie es vor der Pandemie möglich war. Starttermine für Filme verschieben sich daneben oftmals auch.

Selbst, wenn Filmstars Filmschaffenden versuchen Mut zu machen – die größten Probleme kündigen sich derzeit erst an: Der Animationsfilm „Trolls World Tour“ etwa ging im April 2020 in den Online-Verleih. Der Kinostart dagegen wurde erst einmal aufgeschoben. Einer der Top-Manager von Universal verkündete in diesem Zusammenhang auch, dass man Filme in Zukunft gleichzeitig in die Kinos und in den Online-Verleih bringen wolle.

Der Unmut der Kinobetreiber ist wie zu erwarten groß. Der Filmtheater-Betreiber AMC, die weltweit größte Kinokette, zu der in Deutschland die UCI-Kinos gehören, protestierte umgehend. Es hieß, dass man zukünftig keine Filme des Studios Universal mehr zeigen wolle. Universal zeigt sich davon bislang eher unbeeindruckt. Zumindest startete Ende Juni der erste Film gleichzeitig online und in den Kinos. „The High Note“ kann in bereits wieder geöffneten Kinos oder eben gegen eine Leihgebühr von 14,99 Euro bei Anbietern wie dem Sky Store, Amazon Prime Video, Apple TV+, Google Play oder iTunes angeschaut werden.

Die Faszination für die große Leinwand – Bleibt sie bestehen?

Noch immer steht nun die Frage im Raum: Was machen die Streamingdienste mit dem Kino und der Kunst des Filmemachens? Stirbt das Kino langsam, aber sicher aus, während die Streamingdienste immer größer und mächtiger werden?

Zunächst einmal: Die Kunst des Filmemachens wird durch Eigenproduktionen von Streamingdiensten durchaus beeinflusst. Dieser Punkt dürfte bereits geklärt sein. Das heißt allerdings nicht, dass nicht immer noch klassische Filme gedreht und produziert werden. Vor allem aber heißt das auch nicht, dass Filmkunst nicht mehr im Kino angeschaut wird. Ein Blick auf Statistiken gibt einen ersten Hinweis. Kinobesuche und Umsätze mit Kinofilmen schwanken nicht besonders gravierend. Im Jahr 2014 zählten die Kinos in Deutschland 121,7 Millionen. Besucher. 2018 waren es nur noch 105,4 Millionen. Doch 2019 schon wieder stiegen die Zahlen auf 118,6 Millionen. Aus diesen Zahlen also lässt sich keine dramatische Tendenz in Richtung des Kinotods ablesen.

Es steht also fest, dass Menschen in Zeiten, in denen sie die Wahl haben zwischen gemütlichem Filmeschauen auf der Couch mit Zugriff auf eine schier grenzenlose Online-Mediathek und der eingeschränkten Auswahl im Kino doch immer noch gerne in dunkle Säle flüchten. Aber woran liegt das?

Es lassen sich dafür mehrere Gründe finden. Gerade die eingeschränkte Auswahl an Filmen und deren Aktualität hat für viele Zuschauer einen besonderen Reiz. Wer ins Kino geht, muss sich aus dem übersichtlichen Programm etwas aussuchen und über die Dauer des Films ruhig sitzenbleiben. Nicht nur findet keine Überforderung durch zu viel Auswahl vorab statt – die Immersion ist beim Filmgenuss im dunklen Saal auch viel größer. Man muss still sein, man schaltet das Handy bestenfalls aus und konzentriert sich für 90 oder 120 Minuten tatsächlich nur auf den Film. Zuhause dagegen geht man vielleicht mal in die Küche und pausiert in der Zeit oder muss an die Tür, weil es geklingelt hat. Das reißt einen aus dem Geschehen und schmälert das Erlebnis.

Darüber hinaus bietet das Kino weitere Besonderheiten, die Zuhause nicht gegeben sind. Kinos sind oftmals gleichzeitig Restaurants oder zumindest Imbisse. Unzählige Getränke und Knabbereien können gekauft, mit Freunden geteilt und im Saal verspeist werden. Hin und wieder finden außerdem Sondervorstellungen statt – für Senioren oder bei Premieren. Manchmal sind dann sogar Regisseure oder Darsteller anwesend, die für Fragen zur Verfügung stehen.

Letztlich wäre da natürlich noch die Leinwand selbst. Kein noch so großer TV und keine Leinwand plus Beamer lassen sich mit den gigantischen Leinwänden im Kino, den abgedunkelten Räumen und den oftmals grandiosen Soundanlagen vergleichen. In die Leinwand eintauchen zu können und Filme im Kino zu genießen – das ist nicht nur eine Beschäftigung. Es ist nicht selten eine Erfahrung und bestenfalls ist es eine Erfahrung wahrer Kunst.