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Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry (2023)

Bewertung

„Sollte man sehen“ kulturmovies

Filminhalt

Es gibt wohl kaum ein übleres Klischee einer vermeintlich tiefsinnigen Erkenntnis als „Das Leben ist eine Reise“. Den Lesern von Selbstfindungsromanen wie „Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry“ ist das egal, denn sie haben die Story (samt mehrerer Fortsetzungen) zu Bestsellern gemacht. Nun bekommen sie die Filmversion – und kriegen großes Schauspielkino geboten. Denn als Titelheld macht sich kein geringerer als Schauspielveteran Jim Broadbent – präsent von „Harry Potter“ über „Game of Thrones“ bis „Paddington“ – auf die 700 Kilometer lange Reise von Devon bis ins nordenglische Berwick-on-Tweed. Harold fasst den spontanen Entschluss, eine todkranke Freundin ein letztes Mal zu besuchen. Zu Fuß und ungeachtet der Tatsache, dass er alles andere als körperlich fit ist, weder Regenschirm noch Proviant dabei hat – und auch ohne einen Plan, was er eigentlich genau mit dieser Reise bezweckt. Das enthüllt sich ihm – und uns – erst nach und nach. Anfangs weiß er nur, dass er es einfach tun muss, komme, was wolle. Um diese wilde, fast schon selbszerstörerische Entschlossenheit, ein absurdes Vorhaben durchzuziehen, glaubhaft darzustellen, ist Broadbent – zerfurcht, zerrupft und meistens vom englischen Landregen durchtränkt – die ideale Wahl. Durch ihn bezieht der Film, der so putzig-verschroben beginnt, am Ende auch echte Tiefe.
Denn der nach außen hin so stoische und sanftmütige Harold macht eine dramatische innere Wandlung durch. Anfangs verkörpert das Prinzip der steifen Oberlippe als oberste Lebensmaxime: bloß nie Gefühle zeigen. Schließlich aber erkennt er, in welche Sackgasse ihn das geführt und welche unwiederbringlichen Verluste es ihn gekostet hat. Zur „Pilgerreise“ wird Harolds Trip aber erst, als seine Wanderung zum Social-Media-Phänomen wird und sich ihm eine bunte Mischung von Leuten anschließt, die ebenfalls auf der Suche nach etwas sind. Das ist eine starke Sequenz – so etwas wie eine tragische Variante von „Das Leben des Brian“ – als Harold erkennt, dass er eine riesige Anhängerschaft angesammelt hat, die ihn geradezu verehrt, denen er aber gar keine Botschaft anzubieten hat, und er versucht, seine Jünger wieder loszuwerden … So spielt der Film ironisch mit seinem Sujet, der Selbstfindung – und dieser bitterhumorige Twist ist ebenso britisch wie Harolds Outfit aus kariertem Hemd, gestreifter Krawatte und Strickpulli mit V-Ausschnitt.

  • Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry (Filmbild 2)
  • Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry (Filmbild 4)

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