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AschaffenburgSterben (2024)

Sterben (2024) (Poster)

Trailer

Bewertung

„Muss man sehen“ kulturmovies

Filminhalt

Matthias Glasners neuer Film heißt zwar„ Sterben“, doch der an die Nieren gehende Dreistünder ist viel mehr als nur das, was der Filmtitel andeutet.

Der Film ist in Kapitel aufgeteilt, die alle fast schon wie ein eigener Film daherkommen – vor allem die ersten drei Kapitel. Da ist zunächst die erschütternde Situation des nahezu hilflosen Ehepaares Lissy und Gerd Lunies (Corinna Harfouch und Hans-Uwe Bauer), vermeintlich von den Kindern alleingelassen. Der demente, oft durch die Nachbarschaft irrende Mann stirbt schon bald, und zurück bleibt seine hilflose, inkontinente Frau im ansonsten leeren Eigenheim. Aber ganz so hilflos ist Lissy nicht – vielleicht war gegenüber ihrem Mann schlicht Lieblosigkeit im Spiel?

Dann wechselt der Film ins nächste Kapitel und damit nach Berlin. Dort arbeitet Tom Lunies (Lars Eidinger) als Dirigent: Bindungsunfähig, aber liebevoll sich kümmernd um die Ex und ihr von einem anderen Mann gezeugtes Baby. Zwischen ihm und seiner Mutter kommt es nach der Beerdigung des Vaters – der Höhepunkt des Films! – zu einem Gespräch, und da tut sich ein Abgrund an Entfremdung auf: Tom ist von seiner Mutter nie geliebt worden, wie sie sagt, sie hat ihn als Baby sogar einmal auf den Boden geschmettert, weil sie ihn nicht aushielt. In der langen Einstellung ringen sie sich zu einem gegenseitigen Bekenntnis durch, das Mutter und Sohn nie wieder werden revidieren können. Im nächsten Kapitel schließlich wird Toms Schwester Ellen (Lilith Stangenberg) vorgestellt, und mit ihr kommt eine Mischung aus schwarzem Humor und Farce ins Spiel: Eine Alkoholikerin, die nach einem One-Night-Stand in einem ihr fremden Hotelzimmer aufwacht, irgendwo weit weg, von wo sie erst mal wieder nach Hamburg fliegen muss. Später wird sie ein Verhältnis mit ihrem Chef Sebastian (Ronald Zehrfeld), einem Zahnarzt, beginnen, dessen Basis das gemeinsame Saufen in heruntergekommenen Bars ist. Ellen pflegt weder Kontakt zu ihrem Bruder Tom noch zu den Eltern, warum genau: das ist schwer zu sagen, dafür ist Ellens Figur zu schlecht ausgeleuchtet. Man kann das auch nicht ihrem Alkoholkonsum in die Schuhe schieben, Ellens Charakter ist schlicht zu klischeebehaftet.

„Sterben“ ist ein Film über die tiefe Verletztheit vor allem der Generation der 50- bis 60-Jährigen, die meterdickes Eis an emotionaler Kälte von ihrer Seele räumen mussten, ehe sie ans Leben denken konnten. Regisseur Matthias Glasner hat in Interviews immer wieder betont, dass er mit der Geschichte auch den Tod seiner eigenen Eltern verarbeitet hat. Tom ist also sein Alter Ego. Wie Lars Eidinger dieser Figur Leben gibt, macht den Film stark. Wissend um seine Bindungsunfähigkeit, pflegt Tom/Eidinger offene Beziehungen voller Hingabe. Als aber sein Freund, der Komponist Bernard – Tom bringt sein Stück „Sterben“ zur Uraufführung – einen letzten, sehr großen Wunsch ausspricht, kommt auch Tom an seine Grenzen. Matthias Glasner mutet uns von der ersten bis zur letzten Minute sehr viel zu – ein zweites Mal will man den Film vielleicht nicht unbedingt schauen. Man sollte ihn aber unbedingt einmal schauen, denn zwei, drei Generationen hält „Sterben“ gnadenlos den Spiegel vors Gesicht.