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Einfach das Ende der Welt (2016)

Einfach das Ende der Welt (Poster)

Bewertung

„Sollte man sehen“ kulturmovies

Filminhalt


These 1: Regie-Shooting-Star Xavier Dolan ist immer dann am besten, wenn ihm Musik zur Verfügung steht. Wie er in „Einfach das Ende der Welt“ den Eurodance-Nervtöter „Dragostea din tei“ mit Wehmut und Sentimentalität auflädt, das ist eine der überraschendsten und effektivsten Szenen des Films. These 2: Dolan ist hervorragend darin, Emotionen und zwischenmenschliche Verwerfungen nonverbal zu vermitteln, neigt aber auch dazu, sie anschließend zu zerreden – hier meist in Nahaufnahmen von Gesichtern, in denen er doch kaum mehr findet als permanente Ratlosigkeit. Wenn der nach über zwölf Jahren zu einer Familienzusammenkunft heimgekehrte Louis am Parfum seiner Mutter riecht, die Geste fast beiläufig in eine zaghafte Umarmung mündet; wenn ein Gespräch zwischen Louis und seiner Schwägerin ins Stocken gerät und Dolan daraufhin Blicke erzählen lässt – dann gelingen dem kanadischen Filmemacher einige intensive, zärtliche Momente inmitten eines immerhin interessant unausgegorenen Films: Fast so, als würde er dem einschränkenden Kammerspiel-Setting selbst nicht ganz über den Weg trauen, inszeniert Dolan selbst auf engstem Raum beispiellos inkohärent. Theaterhaftes Redefeuerwerk im Close-Up-Overkill, hyperstilisierte Popmontagen, überspannte Melodramatik – der Regisseur versucht viel, doch wenig funktioniert richtig, vielleicht auch, weil es die Kommunikationsbarrieren bedingt mehrdimensionaler Figuren schwer haben, einen ganzen Film tragen. sb

„Einfach das Ende der Welt“ mit Kommunikationsbarrieren

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Die „Dragostea din tei“-Szene brennt sich ja gerade ein, weil Dolan hier ungewohnt sparsam Videoclipmontagen verwendet und mit ihnen ganz geschickt Leerstellen setzt: In einer weiteren deutet er an, dass ein verstorbener Exfreund der Grund dafür gewesen sein könnte, warum Louis vor zwölf Jahren seine Familie verlassen hat. Auch den Grund für seine Rückkehr hält Dolan offener als das zugrunde liegende Theaterstück von Jean-Luc Lagarce: Louis will seiner Familie mitteilen, dass er bald sterben wird, doch dass er an AIDS erkrankt ist, wird im Film nicht explizit gesagt. Will Dolan den Zuschauer mit der Tatsache konfrontieren, dass er bei einem schwulen Protagonisten schon automatisch diese Diagnose trifft? Die Filme des frankokanadischen Regisseurs sind natürlich schwer zu ertragen, und „Einfach das Ende der Welt“ ist noch weniger auszuhalten als „Mommy“. Wie bei „Sag nicht, wer du bist“ wählt er das Kammerspiel – nur dass hier das Thrillerelement fehlt und der Schrecken sich einzig und allein in der Familie zu suchen ist. Dolan spielt ganz bewusst mit der Unausgegorenheit und macht sie zum Stilmittel, bis es dann irgendwann auch schon egal ist, ob er mit seinen Close-ups auch die verzweifelte, ratlose Person einfängt, die gerade spricht. Die Momente mögen noch so intensiv und schön sein, doch manchmal gelingt es einfach nicht, die Kommunikationsbarrieren aus dem Weg zu räumen. Willkommen in der Familie, Siegfried. cs

  • Einfach das Ende der Welt (Filmbild 4)
  • Einfach das Ende der Welt (Filmbild 2)
  • Einfach das Ende der Welt (Filmbild 3)
  • Einfach das Ende der Welt (Filmbild 5)