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Blue Jasmine (2013)

Blue Jasmine (Poster)

Bewertung

„Sollte man sehen“ kulturmovies

Filminhalt

Lange war Jasmine (Cate Blanchett) der Jetset gewohnt: Heute Saint-Tropez, morgen Paris, Ständegesellschaft im Big Apple, Strandhaus auf Martha’s Vineyard, Juwelen, Yachten, die Hamptons, High Society. Doch seit ihr Ehemann Hal (Alec Baldwin) als Finanzbetrüger (und Ehebrecher) entlarvt wurde und sich im Gefängnis erhängt hat, ist das Luxusleben vorbei – und Jasmine eine mittellose Gesellschaftsdame, ohne Familie, Ausbildung, eigenem Geld und Perspektive. Nachdem sie im Flugzeug nach San Francisco (natürlich Erster Klasse) einer älteren Dame ungefragt die Märchenversion ihrer ruinösen Lebensgeschichte aufdrängt, stakst sie mit zerrütteten, im Krankenhaus mit Elektroschocks behandelten Nerven und stets am Rande der Wahnstörung zu ihrer Adoptivschwester Ginger (Sally Hawkins), die Louis-Vuitton-Taschen voller edler Kleidung und eine bedenkliche Vorliebe für Wodkacocktails im Gepäck. Ausgerechnet zu Ginger, deren Ehe Hal einst ruinierte, indem er das gesamte Gesparte von Gingers Mann veruntreute. Plötzlich müssen Ginger, die Supermarktangestellte mit Italo-Mechanikerfreund, und Jasmine, die narzisstische Gefallene, miteinander auskommen. Und während Jasmine sich angewidert einen Job als Sprechstundenhilfe antut, um den Computerkurs zu bezahlen, den sie für eine Onlineausbildung zur Innenausstatterin braucht, nimmt sich die naive Ginger das schnöselige Gerede ihrer Mini-Marie Antoinette von einer Schwester viel zu sehr zu Herzen …

Schmaler Grat zwischen Contenance und Katastrophe

Woody Allen lehnt sich in seiner Geschichte an Tennesse Williams’ Klassiker „Endstation Sehnsucht“ und das Aufeinandertreffen von Südstaaten-Geldadel und Arbeiterklasse an, und es ist für Cate Blanchett kein Nachteil, dass sie die Rolle der Blanche DuBois schon im Theater gespielt hat. Meisterlich wandelt die 44-jährige Australierin Blanchett auf Jasmines bindfadenschmalem Grat zwischen Contenance und Katastrophe, Hochmut und Heulsuse, Opfer und Täter. Jede einzelne mimische Regung auf Jasmines Gesicht, wenn sie bei einer Lebenslüge erwischt wird und die Bestürzung mit aufgesetzter Grandezza regelrecht aus ihrem Gesicht treibt, lässt sich bei Blanchett ablesen – die Darstellerin als Menschenbuch. Eine mehr als Oscar-reife Leistung. Und selten hat Allen, der nostalgische Meister von der Upper East Side, einen so düsteren Film gedreht, ausgerechnet in einer sonnigen kalifornischen Metropole, selten war er so im Hier und Jetzt verankert, nie so politisch und gesellschaftskritisch. Nirgends gut situierte Intellektuelle, die in weiträumigen Altbauwohnungen zum Weißwein eloquente Diskurse führen und Bonmonts über den Jazz von Louis Armstrong, die Thesen von Marshall McLuhan oder den Pitcher der New York Yankees absondern. Stattdessen: Hal als fiktiver Wiedergänger des Milliardenbetrügers Bernie Maddoff, der sein Vermögen mit Anlagen mit vermeintlich gigantischen Renditen machte und mit diesem Schneeballsystem – er finanzierte neue Anlagen immer mit dem Geld weiterer Kunden – einen Schaden von über 51 Milliarden Euro verursachte.

Mit „Blue Jasmine“ ist Pessimist Allen ganz bei sich angekommen

Menschen in existenziellen Krisen, gequälte Tischgespräche, die einem beim Zuhören und Zugucken innerlich was zusammenziehen und die deprimierende Einsicht, dass des Menschen Tun und Wirken hauptsächlich auf Lügen aufgebaut ist. Fliegen diese auf, bleibt nichts hinter den potemkinschen Dorfe außer seelischer Ödnis. Hier ist der ewige Pessimist Woody Allen ganz bei sich angekommen. Analog dazu ist das Lachen, das er uns ab und an erlaubt, ein trügerisches Ding: Es gerät einem meist direkt zum Lächeln, dann im Hals zum schiefen Grinsen, schließlich in der Kehle zum Würgen. Gier und Geld, das sagt Allens Drama, macht alle zum menschlichen Kollateralschaden – alle, die es wollen, alle, die es haben, und auch jene, die nur mit denen in Berührung kommen, die es wollen und haben. Das ist keine übermäßig originelle Feststellung. Dass sie aber vom alten Melancholiker Allen kommt, der sich immer gerne in der Komfortzone der kulturellen Vergangenheit und der digitalen Vormoderne eingenistet hat, macht sie dann doch zu einer außergewöhnlichen Angelegenheit. (vs)

  • Blue Jasmine (Filmbild 2)
  • Blue Jasmine (Filmbild 3)
  • Blue Jasmine (Filmbild 4)
  • Blue Jasmine (Filmbild 5)
  • Blue Jasmine (Filmbild 8)